Commedia dell’ARTE

Bei ARTE wurde am 22.09.2020 die 90-minütige Dokumentation “Nikotin - Droge mit Zukunft” ausgestrahlt [1] [2]. Dazu hat sich Bernd Mayer, Professor für Toxikologe und Pharmakologe an der Uni Graz, ausführlich geäußert. [3] [4]

Bernd Mayer

Den Kommentaren entnehme ich, dass viele Zuseher der unsachlichen Inszenierung dieser Doku auf den Leim gegangen sind. Daher möchte ich hier einige Punkte richtigstellen. Nähere Informationen, auch zu meiner Person, finden Sie auf meinem Youtube-Kanal und auf Facebook: https://www.facebook.com/Belidampft/

1. Tabakindustrie

Die allseits bekannte dunkle Vergangenheit der Tabakindustrie wird mit der Entwicklung schadensreduzierter Produkte (IQOS, glo) vermischt. Selbstverständlich möchte die Tabakindustrie Geld verdienen, das möchte auch Ihr Bäcker wenn er Ihnen Brötchen verkauft. Der Vorteil von Tabakerhitzern wurde kürzlich sogar von der überaus kritischen US Food & Drug Administration (FDA) bestätigt. Die Ziele der von PMI geförderten Yach-Stiftung decken sich zu 100 % mit den Zielen der WHO. Jede Berührung mit der Tabakindustrie wird jedoch mit einem Bann belegt, während die Pharmaindustrie offenbar eine blütenweiße Weste trägt und keinerlei finanzielle Interessen hat. Die Ausführungen der Vertreter von PMI und BAT sind vollinhaltlich korrekt, während die Vertreter der Tabakkontrolle, allen voran Stanton Glantz, schlichtweg lügen. Offenbar haben Gut und Böse mittlerweile die Seiten gewechselt.

2. Krebserregende Wirkung von Nikotin

Die Darstellung beruht auf einer einzigen fragwürdigen Mäusestudie, die darin behauptete Nitrosaminbildung ist ein alter Hut und für menschliche Konsumenten irrelevant. Es gibt keinen einzigen belastbaren Hinweis für cancerogene Wirkung von Nikotin. Die Substanz fördert allerdings in Nagetieren das Tumorwachstum. Ob das auch für Menschen mit Krebserkrankungen relevant ist, weiß niemand. Die biologischen Wirkungen von Nikotin sind insgesamt moderat und mit jenen von Koffein vergleichbar.

3. Sucht/Abhängigkeit

Die Behauptung das Suchtpotential von Nikotin sei ähnlich wie jenes von Heroin ist absurd. Tatsächlich ist unklar, ob Nikotin in Abwesenheit von Tabakrauch überhaupt Abhängigkeit auslöst. Evidenz gibt es dafür keine. Aus diesem Grund hat Karl Fagerström 2012 seinen berühmten Test für Nikotinabhängigkeit in "Fagerströmtest für Zigarettenabhängigkeit" umbenannt. Außerdem sollte man bedenken, dass Raucher nicht an ihrer Abhängigkeit erkranken und ggf. sterben, sondern an der Inhalation von toxischem Verbrennungsrauch. Abhängigkeit ohne nennenswerte Schädlichkeit ist irrelevant.

4. Nikotin-Überdosierung (zB. durch die Juul)

Raucher und Dampfer regulieren ihre Nikotinspiegel unbewusst, was als Nikotin-Selbsttitration bezeichnet wird. Daher ist die Sorge vor Überdosierung unbegründet, man merkt, wann man genug hat. Es ist vorteilhaft Liquids mit hoher Nikotinkonzentration zu dampfen, um mit geringen Mengen ausreichend Nikotin zu bekommen und so die Belastung mit allfälligen Schadstoffen zu minimieren. Bei Light Zigaretten ist es genau umgekehrt, weshalb diese zu Recht verboten wurden.

5. Schädlichkeit von E-Zigaretten

Es ist internationaler wissenschaftlicher Konsens, dass E-Zigaretten um Größenordnungen weniger schädlich sind als Tabakzigaretten. Das belegen klinische Studien ebenso wie Emissionsanalysen - und letztendlich der Hausverstand. Wir sollten die Inhalation von Rauch vermeiden, wohingegen kein Anlass zu Sorge vor Spaziergängen bei Nebel besteht. Die diesbezüglichen Ausführungen des Händler-Vertreters sind korrekt und wissenschaftlich belegt.

6. Lungenerkrankungen in USA ("EVALI")

Bereits im September 2019 war klar, dass die Erkrankungen durch das Dampfen illegal gestreckter Cannabis-Liquids verursacht wurden. Die dafür verantwortlichen Dealer sind längst in Haft und seit Jänner 2020 ist "EVALI" Geschichte. Dennoch wird in dem Beitrag mit einem betroffenen Teenager, der nachweislich ein derartiges Liquid gedampft hatte, vor E-Zigaretten gewarnt und Raucher verunsichert. Der Missbrauch dieses armen Jungen durch die Regisseurin ist abstoßend und ekelhaft. (*)

7. Stanton Glantz

Stanton Glantz ist ein bekannter Anti-Wolken-Aktivist, der sich nicht schämt, seine Ideologie durch (nachgewiesenen!) wissenschaftlichen Betrug zu rechtfertigen. Eine kurze Recherche in Google genügt, um das zu erkennen. Wenn man sich Stanton Glantz als Experten aussucht, verfolgt man offensichtlich ein Ziel, das nichts mit sachlicher Information der Zuseher zu tun hat.

Die Regisseurin dieses Films hat sich bereits in der Vergangenheit durch einen unsachlichen Beitrag gegen E-Zigaretten ausgezeichnet (frontal21, 2015). Meines Erachtens ist es offensichtlich, dass sie auch im aktuellen Fall gekauft wurde, um eine Interessensgruppe zu bedienen. Ob die Pharmaindustrie oder andere durch E-Zigaretten bedrohte Stake-Holder dahinter stecken, weiß ich nicht.

 

(*) Zum Thema “EVALI” haben wir hier noch einen etwas ausführlicheren Artikel.

Es ist schon sehr auffällig, dass bei dieser “Dokumentation” fast nur “Experten” aus den USA zu Wort kommen, die sich massiv gegen das Dampfen aussprechen. Da stellt sich die Frage, warum die Auswahl so extrem einseitig ist? Es gibt durchaus viele kompetente Wissenschaftler, auch in Europa, die sich wie Professor Mayer für das Dampfen als Alternative zur Tabakzigarette aussprechen. [5] [6]

“Dochtgate”

Zum Schluss möchten wir noch einen Punkt ansprechen, der so lächerlich ist, dass er der seriösen Kritik eines Wissenschaftlers nicht würdig ist: Das “Dochtgate” bei 40:15.

Es fängt damit an, dass unlautere Motive suggeriert werden, weil Juul die Nikotinkonzentration von 20 auf 18 mg/ml gesenkt hat. Eine vernünftige Erklärung ist ganz banal. Sie wollten einfach, wie praktisch alle Liquidhersteller für den europäischen Markt, auf der sicheren Seite sein, um nicht bei Produktionsschwankungen versehentlich über das Limit hinauszugehen. Für den Konsumenten macht das kaum einen Unterschied.

Dann haben diese Koniferen des investigativen Wissenschaftsjournalismus herausgefunden, dass sich der Docht in der neuen europäischen Version der Juul-pods von der ursprünglichen (amerikanischen) Version unterscheidet und wittern eine Verschwörung, die sie gar “Dochtgate” nennen.

Sie hätten nur einen der vielen Dampfer fragen müssen, die selbst wickeln. Der hätte ihnen dann erklärt wie absurd der Quatsch ist, den sie da erzählen.

Die ursprüngliche Version der Juul war in Europa ein Flop. Die Nikotinmenge, die mit der drastisch, auf ein Drittel, reduzierten Nikotinkonzentration freigesetzt wurde, war einfach zu gering, um für einen durchschnittlichen Raucher befriedigend zu sein und den Umstieg zu ermöglichen. Um das auszugleichen, mussten sie die verdampfte Liquidmenge pro Zug verdreifachen, um wieder auf die ursprüngliche Nikotinmenge zu kommen. Dazu muss sowohl der Widerstand der Heizwendel gesenkt werden, als auch der Dochtquerschnitt vergrößert, um einen erhöhten Liquiddurchfluss zu gewährleisten. Alleine den Docht zu manipulieren bringt gar nichts. Und diese Erhöhung der Nikotinmenge ist für den Konsumenten durchaus spürbar. Die Dinger sind jetzt nicht mehr ganz so unbefriedigend. Wirklich nachteilig für die Kunden ist dabei nur, dass so ein Pod jetzt viel schneller leer ist und der Akku auch viel häufiger geladen werden muss.

Daraus eine “Verschwörung der Tabakindustrie” zu konstruieren zeugt von dem unterirdischen Niveau des gesamten Beitrags. Aluhüte bitte in die Wertstofftonne.

4 Gedanken zu „Commedia dell’ARTE

  1. Bemerkenswert bei dem Einspieler zu EVALI war das Statement bei 32:00. Hier wird wiederholt dass der Lungenschaden durch “E-Zigaretten” entstanden sei, aber der Zwillingsbruder noch immer süchtig sei. – Aber welche Mutter würde denn sowas machen? Den einen weiterdampfen lassen, wenn der andere beinah dran gestorben wär?!

    Hier wird offenkundig wer den Dialog inszeniert hat. Das war nicht die Regisseurin. Das gesamte Skript spricht eher für CFTK/BloombergMedia. Deswegen konnte man sich an eben der Stelle den Einschub mit “noch immer süchtig” nicht verkneifen, obwohl das natürlich die ganz Story in Frage stellt. Der Vorwurf richtet sich also eher an die Produktionsfirma, die Skript und Einspieler in großer Menge lizenziert hat (oder ggf. Gegenleistung und Gratislizenzen erhalten hat). — Der Mutter und dem Teenager sollte man überdies keine Vorwürfe machen, wenn man sich in dieser Situation für so ein Interview hergibt. Brauch man sich nur die Krankenhausrechnung vorstellen. Dass da kaum jemand den Konsum von gepanschten THC-Liquids eingestanden hatte, lag ja weniger am Strafrecht, sondern war primär versicherungstechnisch begründet.

  2. Sehr geehrter Herr Prof. Mayer,
    vielen Dank für diesen Kommentar, in weiten Teilen sind wir beide zum selten Schluss gekommen. Allerdings habe ich das Dochtgate bei meiner Artikelserie dann irgendwie “vergessen”. Es sind einfach zu viele Lügen, Halbwahrheiten und Märchen vertreten. Von daher ziehe ich meinen Hut vor Ihnen, sie haben es wirklich auf das wesentliche “eingedampft”.
    Liebe Grüsse
    Daira Bär

  3. Alles, was gesagt wird, steht erst einmal als potentiell wahres Gerücht im Raum. Nicht derjenige, der es in die Welt setzt, muss es belegen, sondern die Geschädigten müssen jeden Aufwand betreiben, es wieder aus der Welt zu schaffen. Diese Umkehr der Beweislast wird in unseren vernetzten Zeiten zu einem echten Problem. Gefühlt erreicht jede Fake News jeden sofort und bleibt in gewissem Umfang für immer wahr, weil das Internet und die Medienarchive nichts vergessen. Dass Lobbyisten mit solchen Mitteln arbeiten, ist nachvollziehbar. Aber dass ARTE sich für einen Lobbyfilm instrumentalisieren lässt, ist unverzeihlich. Dass Raucher deswegen womöglich weiterrauchen, ist furchtbar.

    Allein, dass ausgerechnet Prof. Stanton Glantz, dessen Methoden als zwielichtig fast noch zu freundlich bezeichnet sind, vom ARTE Film als der Quell letzter Wahrheiten positioniert wird, ist unerträglich. Lieber Herr Prof. Mayer, ich hoffe, Sie finden einen Weg, Ihren Ansichten und Einsichten die gleiche Reichweite zu verschaffen, wie sie dieser Film und andere Lobbyprodukte erreichen.

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