Es hat Tradition. Anno Tobak hat ein kleines Grüppchen im Hinterzimmer des EU-Trilogs den Teil der TPD, der sich auf das Dampfen bezog, fast komplett durch eine völlig andere Regulierung ersetzt. Der normale Gesetzgebungsprozess wurde so zur Farce. Dem demokratisch gewählten Parlament wurde jede Chance genommen, den gröbsten Unsinn zu beseitigen und dem faulen Kompromiss wenigstens eine Spur Sinn und Sachverstand einzuhauchen. Sie konnten das Machwerk nur noch akzeptieren oder ablehnen. Wie nicht anders zu erwarten, hat die große Mehrheit es abgenickt.
Laut Insiderinformationen 1 haben sich ein paar Politiker getroffen und die - zu Recht - scharf kritisierte Besteuerung des Nikotingehalts komplett verworfen und jetzt eine Volumenbesteuerung zusammengeschustert.
Update!
Die geplanten Änderungen haben das Hinterzimmer verlassen: https://dserver.bundestag.de/btd/19/304/1930490.pdf
20 % statt 75 %
klingt auf den ersten Blick nach einer Verbesserung. Bleibt nur die Frage: 20 % WOVON?
Wären es 20 % des Verkaufspreises, dann wäre das für eine Lenkungssteuer, die angeblich der Verbrauchergesundheit dienen soll, immer noch zu hoch, da die Risikoreduktion gegenüber dem Rauchen von Tabakzigaretten mindestens 95 % ist, das Restrisiko also maximal 5 % betragen würde. Aber damit könnten Dampfer und Fachgeschäfte leben und der so erhöhte Preis würde nicht alle heutigen Raucher von einem Umstieg abschrecken.
Virtuelle Prozente
Aber wie schon bei der Milchmädchenrechnung des ursprünglichen Entwurfs ist man hierbei anscheinend auch von Werten aus dem Wolkenkuckucksheim ausgegangen und hat sich Zahlen aus den Fingern gesaugt, die jeder echten Grundlage entbehren. Leider blieben die Details hinter verschlossenen Türen, sodass wir nur spekulieren können, wie diese Luftnummern zustande gekommen sind:
0,32 € pro ml
Unabhängig vom Nikotingehalt. Bei 10 ml wären das dann 3,20 €, bei 100 ml gar 32 €. Dazu kommt natürlich noch 19 % Mehrwertsteuer, also 38 € reine Steuerkosten für den Verbraucher.
Bei den ohnehin sehr teuren Pod-Systemen, wie sie hauptsächlich von der Tabakindustrie angeboten werden, wird der Preisunterschied pro “Pod” tatsächlich nicht sehr groß ausfallen, da diese aufgrund ihrer naturgemäß niedrigen Leistung sowieso meist mit geringen Mengen von hoch konzentrierten (18 mg/ml) Liquids arbeiten. Für den umwelt- und preisbewussten Verbraucher ist das allerdings ein weiterer Schlag ins Gesicht. Selbst die Dampfer, die heute mit der maximal in der EU verfügbaren Konzentration dampfen, müssen für einen einfachen Nikotinshot bereits mehr als das 5-fache bezahlen. Immer noch etwas weniger als die ursprünglich geplante (mehr als) Verzehnfachung des Preises, aber da die meisten mit einem deutlich geringeren Nikotingehalt dampfen, kommt für sie jetzt noch die märchenhafte Steuer auf die nikotinfreien Bestandteile hinzu. Bereits jetzt war das Nikotin selbst der teuerste Bestandteil der Liquids. Auf die reine Basis (PG/VG), die man heute als Konsument zu einem Literpreis von deutlich weniger als 10 € beziehen kann, kämen dann irrsinnige 380 € Steuern!
Konsequenzen
Die Pods der Tabakindustrie, die bereits heute nur einen geringen Preisanreiz für einen Umstieg bieten, werden sich unweigerlich verteuern und in Verbindung mit der nötigen Grundanschaffung der Geräte effektiv mindestens so teuer werden wie das Rauchen von Zigaretten.
Besonders hart trifft es die Verwender von offenen Systemen, die diese Technologie nutzen, um die verwendete Nikotinkonzentration zu reduzieren. Ihnen wird jeder finanzielle Anreiz dazu genommen. Sie werden im Gegenteil eher dafür bestraft.
Aus Fehlern lernen
Deutschland ist nicht das erste Land in der EU, das eine Volumensteuer für eine tolle Sache hielt. Schauen wir doch mal zu unseren Nachbarn und was die “guten Absichten” dort angerichtet haben:
- Estland: 0,20 € pro ml
- Ein Großteil der Liquids wurde auf dem unkontrollierten Schwarzmarkt gehandelt.
- Heute: Ausgesetzt
- Italien: 0,40 €/ml
- Hat die einheimische Liquidproduktion und Fachgeschäfte fast komplett vernichtet.
- Stark reduzierte Steuereinnahmen (Mehrwertsteuer)
- Viele Dampfer sind wieder zur Zigarette zurückgekehrt
- Heute: 0,08 € pro ml (nikotinhaltig) bzw. 0,04 € (nikotinfrei)
- Ungarn: 0,19 €/ml
- Schwarzmarktanteil geschätzt 80 %
- Heute: 0,06 €/ml
Nacht und Nebel
Das Ergebnis der Mauschelei wird vermutlich am 08.06.2021 im Finanzausschuss - wieder hinter verschlossenen Türen - beraten2 und steht dann dort als “Beschlussempfehlung” am 09.06.2021 zur Abstimmung3. Dann kommt dieser mit heißer Nadel gestrickte Schnellschuss in der nächsten Sitzung im Plenum zu nächtlicher Stunde (am 11.06.2021 um ca. 02:40 Uhr) zur 2. und 3. Lesung, ohne dass irgendjemand die Gelegenheit gehabt hätte, das Machwerk sorgfältig zu prüfen. Ob die wenigen verblieben Abgeordneten dieser Marathonsitzung dann auch noch wohlüberlegt abstimmen können? Da ist ein Abnicken wohl fest eingeplant. Hoffentlich gibt es eine namentliche Abstimmung, damit wir wenigstens wissen, wer im September auf unsere Stimmen und die unserer Freunde und Verwandten verzichten möchte.