Wie wir in "Wir müssen mit der Politik über Steuern reden!" schon berichtet haben, droht der Entwurf des Finanzministeriums für eine Nikotinsteuer zu einem finanziellen Todesurteil für das Dampfen zu werden. Darum haben wir euch aufgefordert, den Abgeordneten zu schreiben, die in den betroffenen Ausschüssen sitzen und ihnen die Situation aus eurer Sicht zu schildern. Wir hoffen, ihr seid schon aktiv geworden. Ansonsten ist noch etwas Zeit dazu. Aber wenn der Entwurf die Ausschüsse erst einmal passiert hat, ist es zu spät.
Als Ergänzung zu euren persönlichen Erfahrungen haben wir den Abgeordneten einen offenen Brief gemailt, der mehr auf die technischen Aspekte eingeht. Hier ist er ...
Sehr geehrte Damen und Herren Bundestagsabgeordnete,
wir - die IG-ED - sind ein von Industrie und Handel vollkommen unabhängiger Verbraucherverein und schreiben Ihnen, da Sie in Ausschüssen sitzen, die sich demnächst mit dem Regierungsentwurf zum TabStMoG 1 beschäftigen werden, der unter anderem eine neu einzuführende Nikotinsteuer für das Dampfen (sogenannte “E-Zigarette”) vorsieht. Wir haben uns erlaubt, im Vorfeld Dampfer dazu aufzufordern, bei Ihnen vorstellig zu werden 2.
“15 Zigaretten entsprechen 15 mg Nikotin”
ist in dem Entwurf die Grundlage für sämtliche angestellten Berechnungen. Wir wissen nicht, auf welcher “Expertenmeinung” diese Annahme beruht, aber sie ist grundlegend falsch und damit sind auch die daraus gezogenen Schlussfolgerungen unbrauchbar.
Realistische und damit konkrete Daten aus der Praxis zu dieser Frage haben wir bereits 2018 in einer Umfrage unter über 2.000 erfolgreichen Umsteigern ermittelt und präsentiert 3.
Wie deutlich ersichtlich ist die Beziehung wesentlich komplexer als die einfache Milchmädchenrechnung. Bei dem angenommenen Konsum von 15 Zigaretten am Tag entsprechen diese insgesamt eher 40 Milligramm Nikotin, die pro Tag vom durchschnittlichen Umsteiger konsumiert wurden.
In den Stellungnahmen
weisen die Vertreter der Fachindustrie (VdeH, BfTG) darauf hin. Sie weisen auch auf weitere illusorische Annahmen hin, die den folgenden Berechnungen zugrunde liegen. Es ist aber erschreckend, dass alle befragten Experten mit keinem Wort darauf eingehen. Haben die keine Ahnung oder ist es ihnen egal?
Bei den Bitten um Stellungnahmen scheint das Ministerium etwas willkürlich vorgegangen zu sein. Jede Menge Vertreter der Industrie wurden angeschrieben, auch diverse Experten aus dem Wirkungskreis des ABNR, aber keine ausgewiesenen Experten aus der Suchtmedizin, wie z.B. Professor Heino Stöver, die sich aktiv für “Harm-Reduction” einsetzen 4, 5. Auch auf Verbraucherseite wurde nur ein einziger Verband, der gerade erst neu gegründet wurde, um eine Stellungnahme gebeten. Sowohl wir, die IG-ED, als auch die Interessengemeinschaft Ex-Raucher (IG-ExR) wurden übergangen, obwohl beide Verbände schon seit Jahren aktiv sind - die IG-ED beispielsweise seit 2011. Der gemeine Bürger und Steuerzahler scheint für das Ministerium eher nebensächlich zu sein, wie sich auch unter “F. Weitere Kosten / Für Bürgerinnen und Bürger / Alternative 2” zeigt.
“Wird davon ausgegangen, dass die Unternehmen diese Kosten selbst tragen und nicht […] weitergeben, so entstehen [...] den Bürgerinnen und Bürgern keine weiteren Kosten”
Wie weltfremd kann diese Annahme sein?
Heute kostet als Referenz ein typischer Nikotinshot (10 ml mit insgesamt 200 mg Nikotin) einzeln 1-2 €, in großen Gebinden werden sie für Endkunden auch schon ab 0,40 € angeboten (inkl. 19 % MWST). Die darauf anfallenden Steuern wären in der 2. Ausbaustufe dann 8 € zzgl. MWST = 9,52 €.
Auch wenn wir uns als Kunden darüber freuen würden, wenn die Händler oder Hersteller diese Mehrkosten selbst trügen, fällt es schwer, an die betriebswirtschaftliche Realisierbarkeit dieses Szenarios zu glauben, denn eine solche Umsetzung würde geradezu in die Insolvenz führen.
“... ist vielleicht weniger schädlich, aber eben auch schädlich.”
So eine - im doppelten Wortsinn - unqualifizierte Aussage klingt nach der Argumentation eines trotzigen Kindes, das genau weiß, dass es Unrecht hat, sich aber weigert, dies einzugestehen. Zur “Begründung” wird oft gerne noch eine absurde Analogie bemüht: “Es ist egal, ob man aus dem hundertsten Stock fällt oder aus dem fünfzigsten, tot ist tot.”
Die Absurdität wird besonders deutlich, wenn man diese Aussage angemessen qualifiziert: “Ein Sprung aus zehn Metern Höhe ist oft lebensgefährlich, aber auch ein Sprung aus fünfzig Zentimetern kann riskant sein.”
Die “Experten”, die hier ihre Stellungnahmen abgegeben haben, scheinen nur absolute Perfektion zu akzeptieren. Alles was nicht 100 % weiß ist, interpretieren sie als schwarz. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Aussage des DKFZ:
“Hohe Tabaksteuern führen nicht zwangsläufig zu mehr Tabakschmuggel”
Technisch gesehen mag so eine Aussage korrekt sein, hat aber nichts mit der beobachtbaren Realität zu tun. Es ist wie die Behauptung “Ein Amboss, der jemandem aus großer Höhe auf den Kopf fällt, führt nicht zwangsläufig zu schweren Verletzungen.” Technisch genauso korrekt, lässt sich aber nur in alten Slapstick-Filmen und Cartoons beobachten, nicht im wahren Leben. Jeder, der sich schon mal den Kopf gestoßen hat weiß, dass das nicht stimmen kann.
Alleine schon die Tatsache, dass die geplanten Steuern auf Nikotin seinem Gewicht in Gold entsprechen, dürfte für kriminelle Elemente ausreichender Anreiz sein, durch Schmuggel ein Angebot zu organisieren, das die unweigerlich entstehende Nachfrage deckt.
Aus Verbrauchersicht
ist dieser Entwurf bezüglich der Besteuerung von E-Zigaretten von vorne bis hinten eine unausgegorene Katastrophe. Ein paar Beispiele: 6, 7, 8.
Für uns geht es um mehr als nur ein Genussmittel. Es ist endlich eine echte Alternative zum Rauchen von Zigaretten. Auch wenn es von vielen sogenannten Experten als “wissenschaftlich bedeutungslose Anekdoten” abgetan wird, berichten etliche Umsteiger von deutlichen gesundheitlichen Verbesserungen, in etlichen Fällen gibt es sogar objektive medizinische Unterlagen, die dies bestätigen. Doch durch die geplante Steuer würden viele Dampfer dazu getrieben, wieder zur deutlich schädlicheren Zigarette zu greifen oder ihr “Glück” auf dem Schwarzmarkt zu versuchen. Auch viele heutige Raucher würden alleine aus finanziellen Gründen diese Alternative dadurch erst gar nicht mehr in Erwägung ziehen.
Fazit
Bitte prüfen Sie ganz genau, auf welcher Grundlage Sie Ihre Entscheidungen treffen. Fragen Sie nach, wenn die Aussagen der Experten schwammig sind. Geben Sie sich nicht mit unverbindlichen Antworten zufrieden, besonders wenn sie Ausreden finden, um sich vor konkreten Einschätzung der relativen Risiken im Vergleich mit dem Zigarettenrauch zu drücken.
Dieser offene Brief wird auf unserer Homepage veröffentlicht. Wir gehen davon aus, dass wir Ihre Antworten ebenfalls dort veröffentlichen dürfen, wenn Sie dem nicht explizit widersprechen.
Quellen
- https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_III/19_Legislaturperiode/2021-03-24-TabStMoG/0-Gesetz.html
- https://ig-ed.org/2021/03/aktion-steuerirrsinn/
- https://ig-ed.org/2018/06/gfn18-poster/#6a_Nicotine_per_Cigarette
- https://www.frankfurt-university.de/fileadmin/standard/Hochschule/Fachbereich_4/Forschung/ISFF/Veranstaltungen/Webinar_E-Zigaretten_2020/Positionspapier_E-Zigarette_final_28102020.pdf
- https://twitter.com/HeinoStoever/status/1363770212512899072
- https://ch-lippmann.de/blog/dampffreiheit/2021/03/de-tabstmog-stellungnahmen-eine-katastrophe/
- https://dampfdruck-presse.hu/2021/03/20/lenkung-luxus-oder-verbrauch/
- https://matzes-dampferecke.de/2021/03/19/abnr-poela-dkfz-und-andere-realitaetsverweigerer/
2 Gedanken zu „Offener Brief Steuerirrsinn“
Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 64,0 Milliarden Zigaretten versteuert. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, waren das 2,7 % oder 1,8 Milliarden Stück weniger als im Jahr 2022. Im langfristigen Vergleich zum Jahr 1991 (146,5 Milliarden) ging der Zigarettenabsatz damit um mehr als die Hälfte zurück. Der Absatz von Zigarren und Zigarillos sank im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr um 9,7 % auf 2,3 Milliarden Stück. Die Menge des versteuerten Tabak-Feinschnitts verringerte sich im Vorjahresvergleich um 6,0 % auf 23.581 Tonnen.
Seit 1991 hat sich die versteuerte Menge an Zigaretten mehr als halbiert.
Der Bund hoffte durch eine Steuer auf die Liquids auf Milliardeneinnahmen. Doch die tatsächlichen Zahlen zeigen jetzt, wie deutlich sich die Regierung verkalkulierte.
Ein Blick in die Veröffentlichungen der Bundesregierung der vergangenen Jahre zu dem Thema ergibt einen interessanten Vergleich. Unmittelbar vor der Einführung der Besteuerung der E-Zigarette lag die Einnahmeprognose des Bundes für die Jahre 2022 bis 2026 zusammengerechnet bei 2,8 Milliarden Euro. Diese Zahl wurde in einer weiteren Berechnung aus dem Jahr 2023 auf rund 1,9 Milliarden Euro verringert.
Tatsächlich hat der Bund bislang aus den beiden Jahren 2022 und 2023 zusammen 231 Millionen Euro an E-Zigarettensteuer eingenommen. Und laut dem Bundesfinanzministerium werden für das Jahr 2024 „auf Basis der Schätzung des Arbeitskreises Steuerschätzungen kassenmäßige Einnahmen von 235 Millionen Euro erwartet“, wie es auf Anfrage heißt. Das bedeutet: Die genannte Prognose für den Fünf-Jahres-Zeitraum bis 2026 erscheint völlig unrealistisch.
Der Anteil von unversteuerten Zigaretten an allen Zigaretten im Raum Ostdeutschland betrug im Jahr 2022 schätzungsweise rund 37 Prozent. In den westdeutschen Bundesländern stieg der Anteil unversteuerter Zigaretten auf rund 12,5 Prozent.
Der Anteil an geschmuggelten oder gefälschten Zigaretten kann nur geschätzt werden, in den vergangenen Jahren lag der jährliche Anteil am Gesamtabsatz zwischen 14 und 22 Prozent.
Ausgaben für Tabakwaren (Kleinverkaufswerte*) in Mio. Euro (netto) 2023: 27.882 (+2,8)
Tabaksteuereinnahmen (ohne Wasserpfeifentabak und Substitute) in Mio. Euro (netto) 2023: 14.213 (+2,0)
Volkswirtschaftliche Kosten des Rauchens
Die gesamtwirtschaftlichen Kosten, die auf das Rauchen zurückgehen, belaufen sich in Deutschland jährlich auf 97,24 Milliarden Euro. Die direkten Kosten (z.B. Kosten für die Behandlungen tabakbedingter Krankheiten, Arzneimittel etc.) des Tabakkonsums betrugen 30,32 Milliarden Euro. Auf die indirekten Kosten (z.B. Produktivitätsausfälle) entfielen 66,92 Milliarden Euro.
*Addieren wir den Steuerausfall durch nicht versteuerte Tabakprodukte hinzu ( ….zwischen 14 u. 22%) dann steigt der gesamtwirtschaftliche Schaden auf über 100 Mrd. Euro ( bei 22% + 3.126,86 Mio € – wobei der Schaden weit höher liegen dürfte).
Gleichzeitig werden Kontrolleinheiten des Zolls aufgelöst. Ingesamt sind beim Zoll über 5.400 Planstellen nicht besetzt, davon über 2.100 bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ( FKS).
Da kann man Hrn. Lindner verstehen, wenn er süffisant auf einer FDP-Veranstaltung lächelt, dass es nichts mehr zu verteilen gibt..-schon komisch er ist der Chef des Zolls – der sich selbst als Partner der Wirtschaft bezeichnet..
Hätten wir eine Bundesfinanzpolizei, die mind. 10% dieses hier genannten Schadens aufdecken, ermitteln und einziehen könnte – dann sähe es mit den Renten, Kindergärten, Pflegeeinrichtungen und Schulen anders aus.
Jahr für Jahr verliert die Bundesrepublik über 1 Billion Euro an Geldern die nicht versteuert bzw. nicht zur Sozialversicherung abgeführt werden.
Quellen: https://www.welt.de/wirtschaft/article249939786/E-Zigaretten-Die-Steuer-Fehlprognose-der-Bundesregierung-Um-hunderte-Millionen-verschaetzt.html
https://www.datev-magazin.de/nachrichten-steuern-recht/steuern/27-weniger-versteuerte-zigaretten-im-jahr-2023-116278
statista.com
https://www.dhs.de/suechte/tabak/zahlen-daten-fakten